Ihr habt es sicher auch schon mitbekommen. Durch die Inflation verteuert sich der Bau der neuen Hamburger U-Bahnlinie U5. Die Hintergründe hierzu haben wir kürzlich hier erklärt. In den Diskussionen dazu werden auch die Stimmen wieder lauter, auf die deutlich günstigere Straßenbahn zu setzen, die zudem schneller zu bauen sei. Die Befürworter der U-Bahn-Lösung verweisen hingegen darauf, dass auf der geplanten Strecke eine höhere Beförderungskapazität und -geschwindigkeit notwendig seien.
Reicht da nicht auch eine Straßenbahn? Die Frage habe ich den Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplanern der Hochbahn gestellt. Haben wir eine Wahl? Kann man das berechnen?
Die Antwort erfordert einige Rechenschritte und einige Logiken aus der Verkehrsplanung, ist aber dann überraschend einfach und klar. Wichtig ist dabei die Querschnittsbetrachtung. Die Verkehrsplaner nehmen dafür eine bestimmte Stelle auf der Strecke, „schneiden“ sie an dieser Stelle und zählen die Menschen, die diese an einem normalen Tag passieren. Die Schienenlösung muss die Zahl in jedem Fall schaffen, sonst würde sie ausscheiden, weil sie zu wenig Kapazität bietet. Die häufig genannten absoluten Fahrgastzahlen sind bei der Betrachtung nicht hilfreich. Hintergrund: Diese Zahl wird vor allem von der Länge der Linie bestimmt.
“Schienenbonus” und Fahrgastwachstum – wie viel Platz braucht es in Zukunft?
Der Querschnitt mit den meisten Fahrgästen auf der U5-Strecke ist der zwischen Stephansplatz und Universität. Hier sind 93.000 Fahrgäste pro Tag prognostiziert. Das Ergebnis basiert auf einem Verkehrsmodell, das die Entwicklung von Fahrgastströmen in der Zukunft „messen“ kann. Das entspricht ungefähr dem Wert auf der U2/U4 zwischen Burgstraße und Berliner Tor, ist also durchaus realistisch. Heute passieren 32.000 Fahrgäste pro Tag mit den Metro-Buslinien 4 und 5 den genannten Querschnitt zwischen Stephansplatz und Universität.
Der Anstieg gegenüber dem heutigen Niveau ergibt sich zum einen aus dem sogenannten „Schienenbonus“: Die Menschen fahren schlicht lieber auf der Schiene als im Bus, vor allem, weil es schneller und komfortabler ist und steigen um – in der Regel vor allem vom Pkw. Dieser Bonus gilt auch für die Straßenbahn, wenn auch noch stärker für die U-Bahn, weil sie komplett unabhängig vom Straßenverkehr ist. Zum anderen berücksichtigt das Modell strukturelle Veränderungen in der Stadt wie zum Beispiel die bereits geplante deutliche Ausweitung des UKE und den Umzug der Beiersdorf-Zentrale, die zu deutlich mehr Fahrgästen führen.
Jetzt der nächste Rechenschritt: Die Fahrgäste fahren über den Tag und die Nacht verteilt, aber nicht gleichmäßig, das kennt man ja aus der morgendlichen rush hour, wenn die Busse und Bahnen besonders voll sind. Die Verkehrsplanungen gehen davon aus, dass in der morgendlichen Spitzenstunde 11 Prozent aller Tagesfahrten stattfinden. Das sind dann auf der Strecke zwischen Stephansplatz und Universität 10.230 Fahrgäste. Das sind Fahrten in beide Richtungen. Pro Richtung und Stunde sind es 5.115 Personen. Diese Kapazität müsste das Schienensystem bringen.
Nachdem wir den Bedarf kennen, braucht es jetzt noch die Kapazität der Systeme U-Bahn und Straßenbahn.
Bei der Straßenbahn gehen wir von einer 50-Meter-Straßenbahn aus. Diese Länge ist für den Innenstadtbereich schon eine Herausforderung, denn in einem Straßenbahnnetz müssen Umsteigehaltestellen mindestens zwei Straßenbahnen gleichzeitig aufnehmen können – also zumindest rund 110 Meter lang sein. Eine noch längere Straßenbahn ist in der Hamburger Innenstadt daher schlicht nicht vorstellbar. Gleichzeitig nehmen wir an, dass die Straßenbahn einen 2,5-Minuten-Takt fahren kann, was betrieblich das absolute Maximum darstellt.
Straßenbahn: Grundsätzlich ja, aber nicht auf der U5-Strecke
Die bisherige Berechnung ergibt, dass in einer Stunde pro Richtung 24 Straßenbahnen mit jeweils rund 330 Fahrgästen (zum Vergleich: Gelenkbus 105) fahren könnten. Das wären knapp 8.000 Fahrgäste. Da in der Realität aber nicht alle Fahrzeuge (gleich) voll sind, Zubringer zu spät kommen, Kinderwagen, Koffer, Rollstühle, Rollatoren etc. mit an Bord sind, können nur 65 Prozent der rechnerischen Kapazität angesetzt werden. Die realistische Kapazität der Stadtbahn liegt damit bei 5.200 Fahrgästen.
Zur Erinnerung: der berechnete Bedarf lag bei 5.115. Das bedeutet kurz und knapp, dass die Straßenbahn an dem Tag, an dem sie in Betrieb geht, in der morgendlichen Spitzenstunde schon komplett voll wäre. Damit ständen keine weiteren Kapazitäten zur Verfügung, um die von Hamburg angestrebte Steigerung der Fahrgastzahlen um 50 Prozent bis Anfang der 30er Jahre aufzunehmen (Stichwort: Hamburg-Takt). Eine U-Bahn hingegen bietet pro Stunde und Richtung im
5-Minuten-Takt bis zu 6.240 Fahrgästen Platz. Das reicht in jedem Fall. Und eine Taktverdichtung bis auf 90 Sekunden ist durch den vollautomatischen Betrieb auch noch möglich.
Damit ist das Fazit klar: Die Straßenbahn ist sicherlich ein sinnvolles Verkehrsmittel – durchaus auch für Hamburg. Einige Hamburger*innen wünschen sich zum Beispiel eine Tangentialverbindung nördlich der Alster. Zwar gibt es dazu aktuell keine konkreten Überlegungen, aber hier würde sich beispielsweise eine U-Bahn vom Fahrgastaufkommen her nicht lohnen, sondern eher eine Straßenbahn. Was die bestehenden und wachsenden Bedarfe entlang der Strecke der geplanten U5 betrifft, wird aber schon deutlich: Als Alternative taugt eine Straßenbahn hier nicht.
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Der Beitrag U5 – reicht da nicht auch eine Straßenbahn? erschien zuerst auf HOCHBAHN.